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Herr, wer hat die Angst getilgt?

Herr, wieso habe ich keine Angst? In mir steckt eine Krankheit, deren Ursache ich nicht kenne. Eine, die mich schachmatt setzt. Warum ängstigt mich dies nicht? Mich, der ich sonst so auf Sicherheit bedacht bin? Obwohl ich nichts verdränge, selbst die letzte Konsequenz, den Tod, mir bewusst zu machen vermag. 

Herr, warum lässt sogar der Gedanke daran mich so gelassen? 

Warum ging mir der Gedanke durch den Kopf, dass ich Ja zum Tod sagen könnte, wenn er Dein Wille sein sollte? 

Warum schildert mir meine Phantasie den Tod als Übergang zu einem größeren Frieden? Warum macht mir der Gedanke mehr zu schaffen, ich könnte zu früh von der Lebensbildfläche verschwinden und Möglichkeiten meines Wirkens versäumen – als der Gedanke, zu sterben, etwas Bedrohlichem entgegenzugehen? 

Liegt es daran, dass mir die Wirklichkeit der Krankheit und des Todes noch nicht nahe genug ist? Liegt es daran, dass ich bisher wenig Schmerz erfahren habe? Oder vermag ich es tatsächlich, Ja nicht nur zum Leben, sondern auch zum Tod zu sagen? 

Verachte ich das Leben? Mein Leben? Es war lange Zeit der Fall. 

Aber habe ich es nicht lieben gelernt? Habe ich nicht zu leben begonnen, in Höhen und Tiefen? Das Leben zu erforschen begonnen! In Kontemplation und Kampf zu leben. Klein. Mit andern. In Deiner Nähe. 

Vielleicht habe ich auch nur deshalb keine Angst, weil ich sicher bin, darauf vertraue, dass Du mich jetzt nicht abziehst, dass ich weiter wirken darf, weiter suchen darf, weiter leben darf. Vielleicht heilen darf. 

Aber habe ich nicht sogar gesagt, dass Dein Wille, Dein heiliger Wille, geschehen möge. Sagte ich es nicht in dem Wissen, dass Dein Wille unergründlich ist; dass er auch meinen Abzug bedeuten könnte; dass selbst die Fortsetzung des Auftrages durch ein Ende geschehen kann? 

Herr, Du weißt alles. Du weißt auch, dass ich Dich liebe. Auch wenn ich oft fern von Dir stehe. Auch wenn ich Dich schon oft verleugnet habe. Du weißt, wie sehr mir das Leben in Dir zum Leben geworden ist, auch wenn ich meist fern von diesem Leben stehe. Für mich und meine Brüder und Schwestern, in denen ich Dir immer wieder begegnet bin. In denen, die kaputt sind. Die ausgebeutet und unterdrückt werden. 

Herr, Du weißt, dass ich weiter für den Weg des Lebens kämpfen möchte. In Deiner Nähe. Mit Dir als Fundament. Dass ich mit den Trauernden trauern und mit Lustigen lustig sein möchte. Lass mich bei ihnen, wenn es Dein Wille ist, solange sie mich brauchen. Nimm mich, wenn die Stunde gekommen ist, und führe mich in Dein Reich. Amen. 

Br. Jan Hermanns

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